Berlin – Wenn Nora Meyer bei einem Familienfest ist, dauert es nicht lange, bis eine Tante ihr ein Körperteil entgegenstreckt. Könnte sie die Muttermale vielleicht mal kurz genauer unter die Lupe nehmen? Schließlich sei sie ja Ärztin.

Das Problem hat Meyer nicht nur mit ihrer Tante. Auch Freunde fragen gerne mal, wenn sie ein vermeintliches Leiden haben. Als Ärztin ist sie dabei in einem Zwiespalt: Nach dem Hippokratischen Eid muss sie in akuten Situationen helfen. «Wenn Husten und Schnupfen in der Erkältungszeit allerdings schon seit Tagen anhalten, bitte ich die Eltern, in die Praxis zu kommen.» Der Trick: «Ich sage, wir versuchen sie einzuschieben – das besänftigt sie meist.»

Oft müssen sich Experten im Privatleben solcher Kniffe bedienen. Denn die Reaktionen darauf, wenn sie keine Ratschläge für lau geben können oder wollen, sind vielfältig. «Das reicht von beleidigtem Schweigen bis zu empörten Schreiattacken», sagt Arbeitsrechtler Michael Felser. Er zieht eine klare Linie bei Beratungen für Freunde und Verwandte: «Jeder kann sich in der Kanzlei einen Termin geben lassen.» Aber Beratung im Privaten gibt es nur in absoluten Ausnahmefällen.

Denn Anwälte, Steuerberater oder auch Finanzbeamte haben ein Problem, wenn sie nebenher beraten: die Haftung. «Wenn der Rat falsch, unvollständig oder nicht erschöpfend war, dann kann ein großer Schaden entstehen – und das kann unangenehme Folgen haben», warnt Felser. Die Haftung können Anwälte und Co. einem Klienten gegenüber nicht ausschließen. «Nur wenn es ein reines Gefälligkeitsverhältnis ist, dann haftet man nicht.» Das sei etwa bei sehr nahen Verwandten wie Eltern oder Geschwistern der Fall.

Auch Cordula Nussbaum kennt das Problem. Sie ist Coach und hilft unter anderem Selbstständigen beim Aufbau ihrer Existenz. Immer wieder ist sie mit der Frage konfrontiert, wie viel Umsonst-Beratung im Rahmen ist – in ihrer Freizeit und auch bei Klienten. «Offenbar klingt es für Menschen wie eine Einladung, mir ihr Herz auszuschütten, wenn ich sage, dass ich Coach bin», erzählt sie.

Schon bei der Coaching-Ausbildung gibt es einen eisernen Grundsatz, den man mit zunehmender Erfahrung immer mehr versteht, sagt Nussbaum: «Coache nie im Freundeskreis!» Der Grund: Ist der Coach kein neutraler Dritter, sondern ein Freund, kann er unbewusst Teil des Problems sein oder die Entwicklung des Klienten beeinflussen.

Doch auch wer sich frisch selbstständig macht, muss eine gesunde Balance zwischen Freundschaftsleistungen und klaren Ansagen finden. Wer etwa als Physiotherapeut eine Praxis eröffnet, kann am Anfang eventuell noch praktisches Wissen gebrauchen. Dann ist man froh um Bekannte und Verwandte, die sich zur Verfügung stellen. «Doch irgendwann ist genügend Praxis da», sagt Nussbaum. Und dann müsse man klar kommunizieren, dass man fortan Rechnungen verschickt.

Allerdings haben viele Studien ergeben, dass gerade Selbstständige und Angestellte in Helferberufen sich leichter ausnutzen lassen als andere. «Sie haben als erste einen Burnout, weil sie sich oft für alle aufopfern.» Daher sei es gerade für Menschen aus diesen Berufsgruppen wichtig, die eigenen Bedürfnisse nicht nur wahr-, sondern auch ernst zu nehmen, so Nussbaum.

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(dpa/tmn)

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