Berlin – Wenn Julius Krüger sein eigener Bauherr sein will, zieht er sich in den Schrebergarten zurück. Erst wollte er die morsche Laube abreißen, jetzt hat er neuen Fußboden verlegt und einen Ofen eingebaut. Früher versperrte Müll den Raum. «Das ist meine Spielwiese», sagt der Architekt.

Die Zahl der Architekturstudenten steigt laut der deutschen Hochschulstatistik seit einigen Jahren. Zuletzt waren 40 000 eingeschrieben. Auch Krüger wollte schon immer Architekt werden. Er weiß aber, dass er in der Baubranche nicht annähernd so kreativ sein kann wie in der Freizeit beim Umbau seiner Laube. «Architekt ist noch immer mein Traumberuf», sagt der 30-Jährige, «aber es lohnt, den Traum mit der Realität abzustimmen.»

Ulrich Königs, Präsidiumsmitglied der Deutschen Dekanekonferenz (DARL) gibt zu, dass die Praxis des Architekten stark vom Inhalt des Studiums abweicht. «Auf die eigentliche Bürorealität wird man in keinem Hochschulstudium vorbereitet», sagt er. Diese Lücke werde aber durch Praktika und die obligatorische zweijährige Berufspraxis nach dem Studium sinnvoll geschlossen, ergänzt der Universitäts-Professor.

Trotzdem bietet der Sprung vom Seminarraum, in dem die Studenten mit teils nicht realisierbaren Entwürfen ihrer Fantasie freien Raum lassen dürfen, auf die Baustellen und in die Büros reichlich Potenzial für Bauchlandungen. «Im Studium soll man konzeptuell denken und sich von Zwängen freimachen, in der Praxis spielen diese Zwänge aber eine wichtige Rolle», sagt Krüger. «Die Wünsche des Bauherrn, der Kostendruck, die Handwerker.»

Dem Diplom-Architekten, der heute selbst Grundlagenseminare an der Uni leitet, half es, schon in der zehnten Klasse als Praktikant in den Alltag eines Architektenbüros hineinzuschnuppern. Er rät allen Interessierten, spätestens nach dem Schulabschluss drei Monate oder länger ein solches Praktikum zu absolvieren

Die mögliche Enttäuschung nach dem Studium hängt auch mit dem Image des Architekten zusammen. Noch immer gilt er als kreativer Kopf mit Bleistift hinterm Ohr, der sich ständig auf neue Entwürfe stürzt. «Man sollte nicht denken, dass Entwürfe eins zu eins umgesetzt werden», betont dagegen Krüger.

Davon abgesehen arbeiten viele Absolventen später gar nicht in Architektenbüros, sondern zum Beispiel in der Verwaltung oder eben in der Hochschule. DARL-Präsidiumsmitglied Königs geht davon aus, dass weniger als zehn Prozent der Absolventen überhaupt Entwürfe erstellen.

Auch seine Architektenkollegin Barbara Ettinger-Brinckmann, die zugleich Präsidentin der Bundesarchitektenkammer ist, weiß, was wirklich im Fokus des Berufs steht. «Wir Architekten sitzen in unseren Büros ja nicht nur an schönen Entwürfen», sagt sie, «sondern sprechen mit Bauherren, verhandeln mit Behörden, schreiben Bauleistungen aus, kommunizieren mit ausführenden Firmen, sind auf den Baustellen unterwegs, machen Kostenkalkulationen, Preisvergleiche und Terminpläne».

Die Perspektive, nach dem Studium einen Job zu finden, ist in den vergangenen Jahren immer besser geworden – so wie sich auch der Bedarf an neuen Wohnungen erhöht hat. Besonders begehrt sind Fachleute, die sich mit nachhaltigem Bauen, Denkmalpflege, Baumanagement und der Immobilienwirtschaft auskennen.

Fotocredits: Westend61
(dpa/tmn)

(dpa)