Rottendorf – Von den rund 1200 Beschäftigten in der Zentrale des fränkischen Modeherstellers s.Oliver arbeiten längst nicht mehr alle nur im Büro. Jeder Sechste hat seinen Bürostuhl für einen Tag pro Woche in den eigenen vier Wänden aufgestellt.

Wenn es nach Personaldirektorin Gabriele Fluck geht, soll das Arbeiten zu Hause in den nächsten Jahren weiter zunehmen. «Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Home-Office für einen modernen und attraktiven Arbeitgeber ein «Must-have» ist», sagt Fluck. Vor allem Mitarbeiter der IT und der Personalabteilung nutzen das s.Oliver-Angebot bislang.

Schon in wenigen Monaten soll das Konzept auf weitere Unternehmensbereiche ausgedehnt werden. «Viele Mitarbeiter machen das beim Einstellungsgespräch mittlerweile zur Bedingung», berichtet die Managerin. Das Unternehmen profitiere im Gegenzug von einer hohen Motivation und Leistungsbereitschaft.

S.Oliver nutzt die Vorteile einer Arbeitswelt, die in den vergangenen Jahren zunehmend digitaler und flexibler geworden ist. Doch dieser Trend verändert gleichzeitig die Bedürfnisse der Mitarbeiter, die Anforderungen an die Führungskräfte und auch den Arbeitsalltag von Betriebsärzten. «Die Arbeitswelt wird sich in den nächsten Jahren massiv verändern. Da werden wir auch als Betriebsärzte intensiv gefordert sein», betont Anette Wahl-Wachendorf. Sie ist die stellvertretende Vorsitzende des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte, der sich noch bis Samstag in Würzburg zur Jahrestagung trifft. Eines der Hauptthemen des Kongresses: «Arbeit 4.0».

Ein Teil der Entwicklung ist die zunehmende Arbeit von Zuhause aus. Die medizinische Beratung werde deshalb zum großen Teil nicht mehr im Büro stattfinden, ist Wahl-Wachendorf überzeugt. «Es wird eine Beratung aus der Ferne mehr Einzug halten als zuvor.»

Die zunehmende Technisierung und Digitalisierung in der Industrie verlange zudem, dass die Betriebsärzte schon deutlich früher als üblich Arbeitsplätze mitgestalten müssen: «Wenn die Roboter erst mal da sind, ist es rum. Da müssen wir frühzeitig planerisch mitwirken, damit nicht am Menschen vorbei gestaltet wird.»

Das sei ohnehin eine der größten Herausforderungen. «Bei der Digitalisierung wird so viel vorgegeben, dass wir aufpassen müssen, dass der Mensch noch beachtet wird.» Das Thema Führung werde dabei am meisten strapaziert. In Zukunft müssten daher Führungskräfte intensiv von Betriebsärzten betreut werden. «Die Führungskraft muss ihre Mitarbeiter nicht nur aus der Ferne führen – am Laptop und über Skype. Sie muss auch erkennen können, ob Mitarbeiter belastet sind.»

In vielen Berufen, unterstreicht Wahl-Wachendorf, seien körperliche Belastungen durch den Arbeitsalltag rückläufig. Auf psychosoziale Risiken wie Burnout, Erschöpfung, Ermüdung, Depression und Angst müssten Betriebsärzte und Führungskräfte vermehrt ein Auge haben.

Denn bei allen Vorteilen birgt das Home-Office auch Risiken. Hier und da fehlt das persönliche Gespräch mit den Kollegen. Manche schaffen daheim den Absprung in den Feierabend schlechter. Andere sind psychisch belastet – und keiner bekommt es mit.

Einer Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zufolge führt digitales Arbeiten für fast die Hälfte der betroffenen Beschäftigten dazu, dass die Belastungen steigen. Die höheren Belastungen seien eine Folge der Entgrenzung und Verlängerung der Arbeitszeiten, der permanenten Erreichbarkeit und der Arbeitsverdichtung.

Fluck kennt die Probleme. «Das persönliche Gespräch entbehrt dieses Arbeitsmodell auf keinen Fall.» Die Gefahr, dass psychische Belastungen zu spät erkannt werden, sieht sie indes nicht: «Meiner Meinung nach wird der Austausch sogar intensiver, weil die gemeinsame Zeit konzentrierter, fokussierter und effizienter genutzt wird.»

Für gesunde Mitarbeiter setze man auf ein ganzheitliches Konzept. Dafür bietet das Modeunternehmen zudem Fitnesskurse und Massage in der Arbeitszeit, bezuschusst Sportkurse, hat mit Weltklasse-Schwimmer Thomas Lurz einen eigenen Sportbeauftragten, achtet auf ausgewogenes Kantinenessen. «Diese Kombination rechnet sich für uns absolut.»

Eine Studie der Initiative Gesundheit und Arbeit zeigte: Mit jedem in Mitarbeitergesundheit investierten Euro würden Betriebe aufgrund reduzierter Fehlzeiten im Schnitt 2,70 Euro sparen. 2015 waren Berufstätige dem Dachverband der Betriebskrankenkassen zufolge durchschnittlich an 16 Tagen im Jahr krankheitsbedingt ausgefallen.

Deutschlandweit sind mehr als 13 000 Arbeitsmediziner für Unternehmen tätig, 3000 von ihnen sind in dem Verband organisiert. Neben den Grippeimpfungen und Augenuntersuchungen gehören Arbeitsplatzbegehungen, Schulungen, Vorträge, Gesundheitsförderung und die medizinische Vorsorge zum Arbeitsalltag.

Auch der kann durch Digitalisierung profitieren, ist Wahl-Wachendorf überzeugt. «Es birgt die Chance einer Konzentration auf das Wesentliche.» Aufgaben wie die Bildschirm-Arbeitsplatz-Untersuchung könnten an andere Berufe wie Arzthelferinnen delegiert werden. Zudem sollten Vorsorgen in ihrer Bedeutung auf den Prüfstand kommen. «Das gibt uns die Chance, dass wir uns auf wesentliche und neue Herausforderungen im betriebsärztlichen Alltag fokussieren können.»

Fotocredits: Nicolas Armer
(dpa)

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