Köln – Geschäftsführer, Abteilungsleiter, Stellvertreter – erst dann kommen die ganz normalen Angestellten. In vielen Unternehmen gibt es klare Hierarchien, die den Arbeitsalltag bestimmen.

Früher war das der Normalfall, doch jetzt setzen Organisationen auf den Abbau der klassischen Strukturen. «Es gibt gerade einen sehr spannenden Umbruch in der Arbeitswelt – und zwar über alle Branchen hinweg», sagt Prof. Michaela Moser, Autorin des Buches «Hierarchielos führen». Ein Grund dafür ist aus Sicht der Expertin ein Wertewandel bei den Mitarbeitern. «Viele möchten sich nicht von einem Chef vorschreiben lassen, was sie zu tun haben. Da müssen sich Unternehmen anpassen.»

Es sind also einerseits die Arbeitnehmer, die die Arbeitswelt transformieren. Und andererseits sorgt die digitale Transformation für Veränderungen – das Stichwort lautet: Agilität. «Ein agiles Arbeitsumfeld zeichnet sich durch eine echte Lernkultur aus, durch Lernfreude und sehr gezieltes, schrittweises Vorgehen», sagt Judith Andresen, Coach für agiles Arbeiten aus Hamburg.

Niemand kann mehr vorhersehen, wie das eigene Geschäftsmodell in wenigen Jahren aussieht. Für Unternehmen sei es deshalb nicht möglich, langfristig und starr zu planen. Entscheidungen und Arbeitsweisen müssen ständig überprüft und angepasst werden.

Das verändert auch den Führungsstil: «Im agilen Kontext bedeutet Führung, Teams und die gesamte Organisation ins Lernen zu bringen», sagt Andresen. Das geschehe nicht dadurch, dass der Chef seinen Mitarbeitern etwas beibringt, sondern durch den Ansatz: Es ist etwas aufgetreten, was lernen wir daraus?

Führungskräfte müssen sich davon verabschieden, dass sie alle Entscheidungen alleine treffen und bestimmen, was passiert. Sie geben eine Richtung vor und setzen Leitplanken – mehr nicht: «Entscheidungen müssen möglichst direkt im Team getroffen werden, damit sie schnell passieren», sagt Andresen.

Um sich dieser Herausforderung zu stellen, hat beispielsweise die Lindig Fördertechnik GmbH aus Eisenach mit dem Abbau von Hierarchien begonnen: «Hierarchien im klassischen Sinne schaffen wir ab, was jedoch nicht bedeutet, dass dadurch weniger Führung notwendig ist – im Gegenteil», sagt Katharina Hellmann, die den Prozess begleitet. Wichtig sei es, die neue Struktur nicht von oben zu diktieren, sondern den Mitarbeitern Spielräume einzuräumen.

Die Einführung der neuen Organisationsform erfolgt nach agilen Prinzipien: Die Verantwortlichen beobachten Entwicklungen, lernen aus den Folgen – und passen die neuen Strukturen gegebenenfalls an. Doch ein vollständiger Abbau von Hierarchien ist auch bei Lindig nicht möglich: «Schon rein rechtlich gesehen haben Inhaber und Geschäftsführer immer eine hierarchische Stellung im Unternehmen», sagt Hellmann. «Klare Grenzen zeigt hier beispielsweise der Gesetzgeber auf.» Entscheidend sei, wie autoritär diese Machtverhältnisse im Unternehmen gelebt werden.

Ob der Abbau von Hierarchien in einem Unternehmen sinnvoll ist und wie er gelingt, das lässt sich nicht pauschal beurteilen. «Es ist immer wichtig, individuell die aktuelle Führungskultur, die Unternehmenssituation und die Mitarbeiterstruktur zu betrachten», sagt Moser. Entscheidend sei es, alle Beteiligten zu überzeugen.

Fotocredits: Christin Klose,Tobias Kromke,Michael Dutzke
(dpa/tmn)

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