Ubud – Zur Arbeit hat es Marion Kutta nicht weit. Fünf Minuten mit dem Roller, dann ist sie da. Und dann blickt die Werbefilm-Produzentin aus München nicht etwa auf Stachus oder Frauenkirche, sondern ins Reisfeld.

Die 48-Jährige hat ihr Büro seit ein paar Monaten in 12 000 Kilometern Entfernung: auf Bali. Wo das Wetter besser ist, das Leben billiger und der Strand nicht so weit.

Die Eigentümerin der Produktionsfirma Global Players (Kunden: BMW, Rimowa und Red Bull) gehört jetzt zu den
digitalen Nomaden – Leute, denen es letztlich egal ist, wo auf der Welt sie Laptop oder Tablet aufklappen, um ihr Geld zu verdienen. Moderne Wanderarbeiter, die oft nur ein paar Monate bleiben und dann weiterziehen. Viele Leute aus Medien- oder Modebranche, aber neuerdings zum Beispiel auch Ärzte.

Bali, eigentlich Sehnsuchtsziel für Urlauber (mehr als fünf Millionen pro Jahr), hat sich in der Szene zu einem der absoluten Lieblingsorte entwickelt. In allen einschlägigen Ranglisten findet sich die indonesische Insel auf einem der ersten Plätze. Was – abgesehen von der exotischen Umgebung und dem Wetter – auch daran liegt, dass man hier mit 1000 Euro im Monat gut auskommen kann.

Inzwischen machen sich sogar zwei Orte Konkurrenz: die Kleinstadt Ubud im Inselinneren und das noch kleinere Canggu, anderthalb Autostunden weiter an der Küste, das den Strand als Vorteil hat. Noch aber liegt Ubud vorn. Diesen Sommer war sogar Barack Obama hier zu Besuch, der gerade an den Memoiren über seine Zeit als US-Präsident arbeitet – gewissermaßen die Luxus-Ausgabe des digitalen Nomaden.

In Ubud gibt es jede Menge WLAN-Cafés und auch ein halbes Dutzend «Coworking-Spaces» – offene Büros mit Highspeed-Internet, in die man sich einmieten kann. Das größte heißt «
Hubud», ein zweistöckiger Bau aus viel Bambus. Offenes Büro ist hier wörtlich gemeint: Man sitzt, wenn man will, an der frischen Luft. Zum Reisfeld hinaus gibt es keine Fenster.

Das Café hat geeisten Cappuccino, Soja-Latte und viel Rohkost im Angebot. Am Schwarzen Brett hängen Angebote für Yoga-Kurse. Man lebt gesund hier, und es wird kräftig genetzwerkt. Als das «Hubud» 2013 gegründet wurde, waren 25 Leute dabei. Im Laufe der Zeit stieg die Gemeinde auf 5000 an. Viele zahlten ihren Beitrag aber nur ein paar Monate.

Heute sind es 250 zahlende Mitglieder aus mehr als 30 Ländern und allen möglichen Zeitzonen. Unter der Woche ist das Büro wegen der Zeitverschiebung rund um die Uhr geöffnet. Der Tagespass kostet 20 Dollar (etwa 17 Euro). Die Internet-Flatrate für den ganzen Monat gibt es für 275 US-Dollar (etwa 235 Euro) – nicht billig, aber dafür gibt es hier die schnellste Verbindung.

«Hubud»-Chef Steve Munroe meint, dass alles professioneller geworden ist. Der 48-Jährige spricht deshalb auch nicht mehr von digitalen Nomaden, sondern von «location independent professionals», ortsunabhängigen Berufstätigen. «Klingt seriöser», sagt der Kanadier. An der vorübergehenden Dauer des Daseins hat sich aber nichts geändert: Nur ein Drittel bleibt länger als ein halbes Jahr.

Insofern ist Marion Kutta, die seit August 2016 Mitglied ist, eine Ausnahme. «Ich hatte das Gefühl, mal was anderes machen zu müssen. Und hier ist man offener für andere Kulturen als in Deutschland. Das inspiriert.» Mittlerweile hat sie auf Bali noch eine Firma gegründet, die auch schon fünf Filme produziert hat. Finanziell lohnt sich das bislang allerdings nicht. Das Geld kommt noch aus Deutschland.

Außerdem, sagt Kutta, müsse man sich das Leben hier auch nicht als ewigen Sonnenschein vorstellen. «Oft habe ich Schichten bis elf, zwölf Uhr abends. Ich arbeite hier sogar eher mehr als früher.» Was sie vermisst: «Zuverlässigkeit. Auch, weil viele nicht lange an einem Ort sind. Manchmal ist es schwierig, Projekte zu Ende zu bringen.»

Es gibt aber auch Leute, die in Ubud inzwischen richtig Geld verdienen – wie die Engländerin Clare Harrison (33), die mit ihrer Firma StartMeUp inzwischen auf drei Kontinenten Praktika in Start-up-Unternehmen vermittelt. Aber auch sie sagt: «Das ist nicht alles Kokosnuss und Cocktails hier. Man kann so weit weg von Familie und Freunden schnell zum Workaholic werden.»

Wie viele digitale Nomaden genau es derzeit auf Bali gibt, kann niemand sagen. Die Inselbehörden führen keine Statistik – zumal kaum zu unterscheiden ist, wer noch Tourist ist und wer schon Ich-AG. Aber einige Tausend sind es gewiss. Die meisten davon haben nur ein Touristenvisum. Steuern zahlt auch kaum jemand hier. Für Marion Kutta zum Beispiel ist noch das Finanzamt in München zuständig.

Aber so schön das Leben der digitalen Nomaden auf Bali sein kann. Oft ist es auch schneller früher vorbei als gedacht. «Natürlich müssen Leute immer wieder frustriert zurück und arbeiten dann wieder ganz normal im Büro», sagt Munroe. «Ich würde trotzdem nicht von Scheitern sprechen. Jeder hier lernt etwas. Und wenn’s nicht klappt, war es wenigstens ein schöner langer Urlaub.»

Fotocredits: Christoph Sator,Christoph Sator,Christoph Sator,Christoph Sator
(dpa)

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