Bonn (dpa/tmn) – Während seiner Ausbildung zum Erzieher hat Emre Yildirim ein sechsmonatiges Praktikum in einer Kindertagesstätte in Izmir in der Türkei gemacht. «Vor allem der Wunsch, meine türkischen Sprachkenntnisse zu verbessern, hat mich auf die Idee gebracht», erinnert er sich.

Außerdem fand er den Gedanken spannend, eine Zeit in einem anderen Land zu leben und zu arbeiten. Ein Auslandsaufenthalt während der Ausbildung – das geht unabhängig davon, ob Jugendliche eine schulische oder duale Ausbildung absolvieren. Während einer dualen Ausbildung machen Azubis meist ein Praktikum in einem Betrieb im Ausland, erklärt Tamara Moll vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Dabei bleibt das Ausbildungsverhältnis zum Betrieb in Deutschland bestehen. Auch die Vergütung zahlt der Arbeitgeber weiter. Bei einer schulischen Ausbildung gehören häufig sowieso mehrere Praktika zu einer Ausbildung, sodass man eines davon im Ausland absolvieren kann.

Wichtig ist, den Aufenthalt möglichst frühzeitig abzustimmen. Grundsätzlich ist es möglich, bis zu einem Viertel der Ausbildungszeit im Ausland zu verbringen. Die meisten Azubis gehen allerdings für einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen ins Ausland, erläutert Moll. Die Berufsschule organisiert in vielen Fällen den Auslandsaufenthalt und stellt den Azubi in dieser Zeit frei.

Manche Branchen sind bei Auslandsaufenthalten besonders aktiv: «In der Logistik, der Industrie, dem Groß- und Außenhandel oder in der Hotel- und Gaststättengewerbe ist ein Auslandsaufenthalt am häufigsten», erläutert Berthold Hübers von der
Nationalen Agentur Bildung für Europa. Doch auch im Handwerk und den sozialen Berufen werden Auslandsaufenthalte beliebter.

Für Emre war es das dritte Praktikum: In Deutschland hatte er schon in einer Kindertagesstätte und in einer Grundschule Praxiserfahrung gesammelt. Die Zeit in der Türkei war trotzdem eine ganz neue Situation für ihn. «Klar habe ich mir im Vorfeld viele Gedanken gemacht», erzählt er. Nachdem er die Zusage aus der Kindertagesstätte und einen Platz in einem Studentenwohnheim gefunden hatte, blieben noch viele Fragen offen. «Ich habe mich gefragt, was mich genau erwartet, wie mein Alltag dort aussieht und ob ich schnell Kontakte knüpfen würde», erzählt er.

In jedem Fall sollte man sich früh über die eigenen Erwartungen Gedanken machen, rät Moll. «Welches Land das passende sein könnte und welche persönlichen und beruflichen Ziele man an den Aufenthalt knüpft – diese Fragen sollten ganz am Anfang der Planung stehen.» Neben einem individuellen Aufenthalt gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, eine Gruppenreise zu machen – dabei verbringen mehrere Auszubildende ihren Aufenthalt in Betrieben, die nah beieinander liegen. Das habe den Vorteil, dass man sich bei Alltagsfragen gegenseitig unterstützen kann, erklärt Moll. Hilfe bei der Planung finden Auszubildende zum Beispiel bei der für sie zuständigen Kammer.

Wenn die Idee, ins Ausland zu gehen, konkreter wird, stellt sich irgendwann die Frage nach der Finanzierung. Gut ein Drittel der Auslandsaufenthalte werden von Unternehmen selbst finanziert, sagt Hübers. Etwa die Hälfte der Auslandsaufenthalte wird durch das Programm Erasmus gefördert, und etwa jeder 20. Auszubildende nutzt das Angebot des Deutsch-Französischen Sekretariats. Jugendliche erkundigen sich am besten im Betrieb oder in der Berufsschule danach. Daneben gibt es Stipendien und Finanzierungsmöglichkeiten für Auszubildende aus bestimmten Branchen und für bestimmte Zielländer. Sie werden zum Beispiel in der Datenbank der
Informations- und Beratungsstelle für Auslandsaufenthalte in der beruflichen Bildung (IBS) aufgeführt.

Derzeit gehen jährlich über 30 000 Auszubildende ins Ausland. Damit haben ungefähr 4,5 Prozent der Auszubildenden am Ende ihrer Berufsausbildung einen Auslandsaufenthalt absolviert, sagt Hübers.

Für viele Auszubildende ist der Blick auf den Arbeitsmarkt eine Motivation für den Auslandsaufenthalt. «Die Azubis wissen, dass sie mit Auslandserfahrungen für spätere Arbeitgeber attraktiv sind», erklärt Hübers. Noch viel wichtiger sind aber die persönlichen Erfahrungen: «Fremdsprachen zu erlernen und ein neues kulturelles Umfeld kennenzulernen, motiviert viele Azubis, ins Ausland zu gehen.» Die Zeit im Ausland ist prägend, meint Hübers. «Oft hören wir von Betrieben, dass sie ihre Auszubildenden als Jugendliche ins Ausland geschickt haben – und sie als Erwachsene zurückgekommen sind.»

Das Praktikum im Ausland hat ihn positiv verändert, sagt Emre. «Durch die neue Situation, die Sprache und die Kultur habe ich ganz neue Eindrücke gewonnen – das hat mich noch offener gemacht.» Für seine Arbeit als Erzieher ist das besonders hilfreich. Doch nicht nur in seinem Beruf ist ein Auslandsaufenthalt ein Gewinn, ist sich Emre sicher. «Eine Zeit lang in einem anderen Land zu leben und eine andere Kultur kennenzulernen, das bringt jeden weiter.»

Fotocredits: Christin Klose

(dpa)