Witten – Man stelle sich vor: Im Büro steht ein Meeting an, und der Chef kommt mit folgender Idee an: Alle, die um den Konferenztisch herumsitzen, sollen eine Minute die Auge schließen.

Sie sollen sich klarmachen, wie sich der Raum anfühlt, in dem sie gerade sitzen und ihren Atem spüren. Sie sollen ihren Körper wahrnehmen und kurz überlegen, worum es ihnen bei dem Treffen geht. Dann machen alle die Augen wieder auf, und voll konzentriert geht das Meeting los. Die Vorstellung klingt völlig esoterisch? Solche Übungen werden bereits in Firmen praktiziert. Das Konzept dahinter heißt Achtsamkeit. Befürworter versprechen sich davon mehr Konzentration – doch was ist dran?

Das Konzept hat eine Antwort auf ein Problem, dass viele Beschäftigte haben: Stress. Prioritäten setzen, Grenzen ziehen und sich fokussieren: Wer Achtsamkeit beherrscht, soll darin besser werden. Das spricht Berufstätige an, deren Arbeit sich zunehmend verdichtet und die das Gefühl haben, dass sie ihre To-do-Liste nicht mehr in den Griff kriegen. «Man sollte da aber keinem Hype unterliegen», sagt Prof. Johannes Michalak von der Universität Witten/Herdecke, der zum Thema Achtsamkeit forscht. «Achtsamkeit hilft bei der Stressprävention und bei vielen körperlichen und psychischen Störungen, ist aber kein schnelles Allheilmittel.»

Das Konzept kommt ursprünglich aus dem Buddhismus und geht in seiner hier praktizierten Form häufig auf den Amerikaner Jon Kabat-Zinn zurück. «Achtsamkeit ist eine Haltung, die man durch Meditation versucht, einzuüben. Es geht darum, im Hier und Jetzt zu sein und sich wohlwollend zu begegnen», erklärt Prof. Michalak. Wer Achtsamkeit praktiziert, versucht erst einmal sich auf den Moment zu konzentrieren und wahrzunehmen, was die eigenen Gefühle sind, erklärt Günter Hudasch, der im Vorstand vom MBSR-MBCT-Verband ist, dem Zusammenschluss der Achtsamkeitslehrer in Deutschland.

Ute Hülsheger, assoziierte Professorin an der Fakultät für Psychologie und Neurowissenschaft an der Universität Maastricht konnte in einer Studie zeigen, dass Menschen, die bei der Arbeit im direkten Kontakt mit anderen sind, weniger Stress erleben, wenn sie achtsam sind. «Wir wissen aber zum Beispiel noch nicht, ob Achtsamkeit bei der Stressprävention besser wirkt als andere Methoden wie die Progressive Muskelprogression», sagt sie. Wer davon träumt, mit Achtsamkeit seine persönliche Leistungsfähigkeit zu optimieren, sollte ebenfalls vorsichtig sein. «Wir wissen noch nicht mit Sicherheit, ob Achtsamkeit die Leistung erhöht», sagt Hülsheger.

In einem anderen Punkt sind sich die Experten einig: Stimmen die Rahmenbedingen bei der Arbeit nicht, weil es etwa zu wenig Personal oder zu viele Aufgaben gibt, dann hilft auch kein Achtsamkeitskurs. «Es besteht die Gefahr, dass dem Mitarbeiter die Verantwortung zugeschoben wird, sich noch mehr zu optimieren», sagt Hülsheger.

Wer sich damit befassen will, kann sich erst einmal selbst einlesen. Eine andere Möglichkeit ist, einen Kurs zu besuchen. Einige Krankenkassen bezuschussen sie inzwischen, hier lohnt es sich, einmal nachzufragen. Bei der Auswahl des Lehrers sollte man auf eine qualifizierte Ausbildung sowie auf eine langjährige Praxiserfahrung achten, rät Prof. Michalak. Außerdem macht man am besten vorab einen Gesprächstermin aus.

Wenn sich auf Achtsamkeit einlassen kann und Zugang bekommt, hat im besten Fall viel zu gewinnen. «Man sagt, man ist damit besser im Kontakt mit sich und seinen Werten», sagt Hülsheger. Und wer weiß: Im besten Fall geht mit der Achtsamkeitsübung zu Beginn des Meetings das Treffen einfach schneller und konzentrierter vorbei.

Fotocredits: Stefan Kranefeld
(dpa/tmn)

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